Um 23:45, wir liegen gerade im Bett, blinkt das Smartphone meines Mannes auf. Er wollte soeben den Flugmodus einschalten und den Wecker stellen. Doch ein Teamkollege, setzte über das (zugegebenermassen praktische) Nachrichtensystem Slack eine Nachricht ab. Genervt blicke ich zu ihm, wie er konzentriert die lange Nachricht liest. „Ist es etwas Wichtiges?“ frage ich, (anscheinend nicht), beantwortet wird die Nachricht dennoch.
Solche Szenen spielen sich in den Schweizer Schlafzimmern zuhauf ab. Ich könnte von anderen Begebenheiten berichten, z.B. als Praktikanten um Mitternacht Nachrichten schrieben, weil Sie von ihrem Chef ein E-Mail bekommen haben. Von meinem Mann (ihrem Betreuer) wollten sie wissen, wie sie antworten sollten. Ignorieren, wenn Zwanzigjährige Blut und Wasser schwitzen? Nicht wirklich.
Ähnliches erlebe ich bei Kollegen, wenn wir im Restaurant sind oder spazieren gehen.
Natürlich gibt es genug Menschen, die solche Situationen sofort lösen können (Meine Mutter, um eine Person zu nennen). «Natel aus!», sagt sie, das wäre doch ganz einfach. Doch so einfach ist es nicht. Teammitglieder prüfen aus zweierlei gründen regelmäßig ihre Nachrichten.
- Sie sind ambitioniert. Weil sie jung sind, neu im Unternehmen, bestrebt danach, alles gut zu machen, oder weil sie Angst haben, ihre Stelle zu verlieren. Jobverlust ist laut eines Artikels im Tagesanzeiger aktuell die grösste Sorge der Schweizerinnen und Schweizer. Also fühlen sich die Betroffenen genötigt, zu reagieren.
- Sie sind gewohnt, ständig am Natel zu hängen.
Unsere Gewohnheit, ständig erreichbar zu sein, führt dazu, dass wir – unintentional -Mails abrufen. Viele Leute sind Multi-Tasking so gewöhnt und lenken sich permanent mit Facebook, Instagram, Twitter und WhatsApp ab, sodass der Daumen dann auch schnell auf das Icon für Mails huscht. Natürlich (und hier stimme ich meiner Mutter 100% zu) ist das eine schlechte Angewohnheit.
Dennoch liegt es an der Verantwortung des Teamchefs, keine Nachrichten nach Feierabend abzusetzen und keine ständige Erreichbarkeit zu verlangen.
Was bezweckt ein Teamchef mit solchen Mails?
- Möchte er (oder sie) zeigen, wie lange er arbeitet? In diesem Fall sollte er mit diesem Gehabe aufhören und die Mail speichern und am nächsten Morgen absenden.
- Oder ist es so wichtig, dass er sofort eine Antwort benötigt? Wirklich wichtig wird es in den wenigsten Branchen sein und dann sind die Angestellten darüber informiert und werden auch dementprechend für den Bereitschaftsdienst entlöhnt. Auch in diesem Fall sollte der Teamchef sich zurücknehmen.
Feierabend ist immer noch Feierabend. Schweizerinnen und Schweizer arbeiten ohnehin überdurchschnittlich viel (siehe Beitrag vom Schweizer Fernsehen). Kein Teamchef macht sich langfristig Freunde, wenn er permanente Erreichbarkeit fordert, und wirklich effektiv sind solche Mitternachts-Mails auch nicht. Oder was denken Sie darüber?
Janine Wolf-Schindler