Entscheidungen sind Gratwanderungen

Sie können uns das Leben schwer machen und verursachen manch einem schlaflose Nächte: Entscheidungen. Dabei setzen sie ein «Entweder – Oder» voraus. Warum man sich häufiger für den Bindestrich entscheiden sollte – Aufzeichnungen einer Gratwanderung.

«Wir kaufen dir entweder jetzt dieses Schoggibrügeli oder du darfst zuhause eine Milchschnitte haben», sagen Eltern zu ihrem quängelnden Kind an der Kasse. Doch das Kind bettelt weiter. Wieso? – Es kann sich nicht entscheiden.

Schon als Kleinkinder müssen wir lernen, uns zu entscheiden. Unser Leben und unsere Wahrnehmung richten sich darauf aus, dass es nie ein halbes Weggli geben wird, weil es auch keine halben Fünflieber gibt. Und spätestens wenn wir die Volljährigkeit erreichen, werden wir erkennen:  erfolgreiche Politiker sind Hardliner. Sie stellen uns vor Entscheidungen, statt zum Mitdiskutieren anzuregen. «Sie können entweder dafür oder dagegen stimmen, einen Mittelweg wird es nicht geben», sagen sie mit ernster Miene.

Entscheidungen vermitteln Sicherheit. Ein Politiker jedweder Couleur ist nur ein echter Politiker, wenn er eine klare Linie hat, sich für eine Partei entscheidet. Ähnlich sieht es in der Arbeitswelt aus. Ein Chef, der klare Entscheidungen trifft, wird entweder geliebt oder, wenn er «schlechte» Entscheidungen trifft, gehasst. Immer aber strahlt er (Selbst)Sicherheit aus. Auf den kann man sich verlassen.

Entscheidungen sind wie Gratwanderungen. Man blickt auf beiden Seiten talwärts und weiss: früher oder später werde ich auf einer Seite absteigen müssen. Auf der Suche nach der besten Abstiegsmöglichkeit laufen wir weiter und weiter, zurück und wieder weiter, beugen uns vor, um runter zu schauen und gehen weiter.

Wir vergessen bei dieser Wanderung aber: Den Fünflieber kann man auch in einen Zweifränkler und ein Füfzgi umtauschen. Dafür braucht es lediglich Kommunikation – das gilt auch für den Bergrücken:

Ein Arbeitsteam kann sich gemeinsam für eine Seite entscheiden – oder aber es kann sich aufteilen und beide Seiten des Berges erkunden.  Spätestens wenn der Berg endet, wird es wieder zusammenfinden. Der Vorteil: man kann sich über die verschiedenen Erfahrungen austauschen – der Bindestrich bleibt.

Der beste Politiker, der beste Chef und der beste Teamleiter ist nicht jener, der Entscheidungen treffen kann, sondern jener, der Kompromisse aushandeln kann, der, der die Mühe auf sich nimmt und auf der einen Seite des Bergkamms runter steigt, Erfahrungen sammelt, wieder hochsteigt und auf der anderen Seite dasselbe tut. Er hat die Medaille verdient, weil er erkennt, dass sie eine dritte Seite hat – jene die die beiden anderen verbindet.

Und wer weiss, vielleicht sagen die besten Eltern zu ihren Kindern: «Du kannst ein halbes Schoggibrügäli haben, wenn du mit mir teilst und zuhause gibt’s für jeden einen halben Apfel.» Damit gehen sie einen Kompromiss ein und treffen eine Entscheidung – das Kind lernt beides und wird erst noch zu einem Teamplayer heranwachsen.